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Reflect Everyday

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Nachdem sich die Initiative Design Everyday bisher vor allem mit der Perspektive der Designschaffenden befasst hat, soll künftig verstärkt auch der Zugang von Herstellern und Produzenten beleuchtet werden. Bettina Reichl (Packnatur®), Valerie Wolff (VELLO), Sophie Wittmann (Trewit), Stefan Ehrlich-Adám (EVVA), Helen Thonet (TYP) und Reinhard Kepplinger (Grüne Erde) waren unsere bisherigen Gesprächspartner:innen. Die Gespräche führte Sabine Dreher (Liquid Frontiers).

Die Interviews zum Nachlesen:

Interview mit Bettina Reichl (Packnatur®)

Das Handelsunternehmen vpz. Verpackungszentrum engagiert sich seit den 1980er Jahren für ökologische Produktentwicklung im Bereich von Lebensmittelverpackungen. Bettina Reichl ist in dem von ihrem Vater Helmut Meininger und ihrer Schwester Susanne Meininger gegründeten Familienbetrieb für Design, Forschung & Entwicklung und Kommunikation zuständig. Nach fast 30-jähriger Forschungsarbeit gelang dem Unternehmen 2012 der Durchbruch mit einer kompostierbaren Verpackung, die unter dem Namen Packnatur® Cellulose Netzschlauch in Österreich hergestellt und international vertrieben wird. Im Interview spricht die gelernte Modedesignerin über interdisziplinäres Denken und interkulturelle Erfahrungen als Grundlage für nachhaltige Problemlösungen.

Sabine Dreher: Sie haben sich mit Ihrem Modelabel ODROWĄŻ, aber auch als Mitbegründerin diverserer Initiativen im Fashionbereich seit den 1990er Jahren einen Namen gemacht. Was hat Sie dazu bewogen, parallel dazu in das Familienunternehmen einzusteigen?

Bettina Reichl: Am Familientisch war die kreative Weiterentwicklung des Unternehmens immer ein Thema. Als mich meine Schwester anlässlich des zehnjährigen Firmenjubiläums fragte, ob ich Lust hätte, aus ihren Verpackungen eine Modenschau zu kreieren, und mich infolge ermunterte, mich im Bereich Verpackungsdesign einzubringen, war ich sofort dabei. Zu jener Zeit lief bereits das erste Forschungsprojekt mit der TU-Graz, das sich mit der Möglichkeit befasste, Schaumstoffe auf Algenbasis herzustellen. Nachdem ich mich vor meiner Ausbildung zur Modedesignerin beruflich für Biologie und Verhaltensforschung bei Tieren interessiert hatte, kam es mir entgegen, mich von Anfang an auch in Forschung und Entwicklung zu involvieren.

SD: War es damals für ein Handelsunternehmen naheliegend, in die Forschung von unkonventionellen Rohstoffen zu investieren?

BR: Nachdem wir gehört hatten, dass die Grazer Mülldeponie in Frohnleiten voll sei, traf uns das wie ein Schock und wir beschlossen, unsere Verantwortung in unserer Branche wahrzunehmen und uns auf biogene Verpackungen zurückzubesinnen. Wir spürten eine starke Affinität zur Natur und wollten alles, was in unserer Branche möglich war, fördern und aktiv zu einer Verbesserung beitragen. Wir suchten auf dem Markt verstärkt nach ökologischen Verpackungen, fanden aber nur wenig. Dies war der Anlass, in Kooperation mit externen Forschungsinstituten selbst in die Entwicklung einzusteigen. In der Beschäftigung mit der Universität wurde mir klar, dass der Schlüssel für ein zukunftsweisendes ökologisches Produktdesign in der Materialentwicklung liegt. Beim ersten Projekt 1994 ging es konkret um einen Styroporersatz aus Algen, 1996 starteten wir eine zweite Forschungskooperation mit dem Schwerpunkt Biokunststoff aus pflanzlichen Resten. 1997 folgte das dritte Projekt: Netze aus Naturfasern. Damit sind wir mittlerweile am erfolgreichsten, weil wir den technischen Durchbruch und dank einer Partnerschaft mit Ja! Natürlich der REWE Group in Österreich auch den Marktdurchbruch schafften. Wir fanden es interessant, dass man aus Bestandteilen von Pflanzen, Holzschnitzeln oder Abfällen aus der Tiefkühlproduktion, einen Mehrwert gewinnen kann und investierten aus Eigeninitiative viele Jahre lang den kompletten Unternehmensgewinn in Forschung. Für uns war die Vernetzung mit der Wissenschaft wegweisend, auch wenn wir damals Methoden, die heute State of the Art sind, nicht einmal verstanden haben. Dass man gasförmiges CO2 als Nahrung für die Herstellung von feststofflichen Biokunststoffen einsetzen kann, klang nach Science-Fiction. Heute werden durch Beigabe von Mikroorganismen, die sich von CO2 ernähren, polyesterähnliche Feststoffe gewonnen und daraus beispielsweise Shampoo-Flaschen hergestellt. Das ist nicht Science-Fiction, sondern eine bahnbrechende Innovation.

SD: Wo fanden Sie Unterstützung bei Ihrem zukunftsweisenden Engagement?

BR: Wir vernetzten uns mit anderen Akteur:innen in den Bereichen Naturstoffe und kompostierbare Werkstoffe zu einer Interessensgemeinschaft. Mit dabei war unter anderen die Firma Biopac, die ihre Idee, aus Stärke essbare Verpackungen zu pressen, später in die USA verkaufte, weil sie für den europäischen Markt einfach zu früh waren. PR-mäßig war die essbare Verpackung ein Riesenerfolg, aber nachdem die Großkund:innen in Österreich selbst nach zehn Jahren erfolgreicher Verwendung nicht bereit waren, eine kleine Preissteigerung in Kauf zu nehmen, warf Biopac das Handtuch und verkaufte. Es passiert in Europa oft, dass die Industrie auf Innovationen nur träge reagiert und auch der politische Wille fehlt, die Konsument:innen aufzuklären. Dadurch versäumen wir die wirtschaftliche Verwertung solcher Entwicklungen. Die USA sind darin schneller und vorausblickender. Dort kauft man Patente, weil man weiß, dass die Umstellung auf ökologische Verpackungen früher oder später kommen muss. Plastik lässt sich nicht über Nacht ersetzen, aber vieles ist möglich.

SD: Wie gelingt es Ihnen jenseits gesetzlicher Vorschriften Abnehmer:innen für Ihre Palette biogener Verpackungen zu gewinnen?

BR: Früher waren wir ein reines Handelsunternehmen spezialisiert auf Lebensmittelverpackungen für frische Produkte. Wir stellten alles zusammen, was ein Vertrieb dafür braucht. Dieses Geschäft finanzierte unsere Forschung. Parallel dazu versuchen wir durch Überzeugungsarbeit unsere Kund:innen dabei zu begleiten, auf biogene Verpackungen umzusteigen. Bis heute sind die im Vergleich zu Erdölprodukten etwas höheren Herstellungskosten das Todschlagargument gegenüber biogenen Verpackungen. Dabei werden allerdings die Umweltschäden, die durch Plastik verursacht werden, nicht berechnet. Wir unterstützen unsere Kund:innen darin, ihr Engagement für eine saubere Umwelt im Marketing zu kommunizieren, denn das ist ein Anfang im Kampf gegen die Müllproblematik. Das Ziel sollte sein, im Wegwerfbereich auf Plastik vollständig zu verzichten.

SD: Das klingt sehr ambitioniert. Wie soll das gelingen?

BR: Man muss u.a. alternative Arten der Konservierung entwickeln. Ein Vakuumbeutel für Frischfleisch ist zum Beispiel ein anspruchsvolles Thema und nicht so leicht mit Naturstoffen zu lösen. Man darf bei dem Ziel, Plastik zu 100 % ersetzen zu wollen, nicht zu sehr ins Detail gehen, weil man schnell ansteht. Gleichzeitig gibt es viele Bereiche, in denen sich eine Türe nach der anderen öffnet, wie die Forschung mit Biokunststoffen aus CO2 zeigt. Ab einem gewissen Punkt fragen uns die Wissenschaftler:innen klar nach unseren Vorstellungen, denn nur so können sie ihre Forschungen in eine sinnvolle, anwendungsorientierte Richtung steuern.

SD: Verpackung ist ein Element, das das Produkt schützt, Informationen liefert aber auch haptisch-sinnliche Reize sendet. Ihr Portfolio arbeitet stark mit haptischen und gestalterischen Parametern. Wie setzen Sie diese ein?

BR: Als wir die ersten Holzschliffschalen für Erdbeeren präsentierten, sagte man uns: »Das klingt vernünftig, aber schöner finden wir die blauen Plastikschalen, denn das bringt die Erdbeeren viel besser zur Geltung.« Heute ist das ästhetische Empfinden anders. Um das Bewusstsein für Ökologie zu steigern, müssen wir die Leute in der Kommunikation über die Sinnhaftigkeit einer solchen Verpackung aufklären. Dabei hilft auch die »Food Waste« Bewegung, die thematisiert, wie viele Lebensmittel wir wegwerfen, ohne sie zu konsumieren. Weltweit verderben ca. ein Drittel aller produzierten Lebensmittel beim Transport bis zu den Konsument:innen wegen fehlender oder unzureichender Verpackung. Über das Erscheinungsbild erreicht man eine unbewusste, sinnliche Ebene. Wenn wir als Designer:innen die Menschen dazu bewegen, zum Schönen zu greifen, dann ist das im besten Fall auch das Richtige.

SD: Können Sie bitte genauer erklären, welche Qualität das Packnatur® Holznetz ausmacht?

BR: Das Netz ist ein rundgewirkter Endlos-Strumpf, die Faser selbst wird von der Lenzing AG in ihrem Werk in Oberösterreich aus Buchenholz hergestellt, die wiederum aus der Durchforstung von zertifizierten heimischen Wäldern gewonnen wird. Schwachholz ist ein Abfallprodukt, das in der Industrie nicht verwendet werden kann, die Entnahme pflegt den Wald. Mit dieser Faser bin ich zunächst als Modedesignerin in Kontakt gekommen, weil ich seit jeher gerne mit regionalen Naturmaterialen wie z.B. Loden und Leinen arbeite. Die innovative Holzfaser hat mich sofort inspiriert. Im Zuge einer Recherche bei Lenzing kamen wir auch auf die Verpackungen zu sprechen und starteten ein Kooperationsprojekt, bei dem wir erfolgreich versuchten, Cellulose für die Netzproduktion einzusetzen.

SD: Wie sehen Sie Ihre Doppelrolle als Modedesignerin und Pionierin in der Verpackungsindustrie?

BR: Mittelweile lassen sich die Synergien klar benennen. Verpackung ist auch eine Art Kleid für das Produkt und nachdem wir nun im Verpackungsbereich einen Schwerpunkt Textil etabliert haben, kann ich in beiden Bereichen mit holzbasierten Rohstoffen arbeiten. Baumwolle ist zwar gut eingeführt, aber ihr Anbau ist einfach nicht umweltfreundlich. Nicht zuletzt durch die neuen Kraftstoffe erleben wir eine Konkurrenz um die Ackerböden. Wir können nicht alles kultivieren, was wir an Rohstoffen brauchen und müssen verstärkt schauen, wie wir Ressourcen verteilen. Wo immer wir in der Natur vorhandene Bausteine, vorzugsweise landwirtschaftliche Reststoffe oder selbstregenerierende Pflanzen, finden, sollten wir diese einsetzen.

SD: Die Holznetze sind ein Quantensprung für Ihr Unternehmen und eine großartige Innovation im Lebensmittelhandel. Gleichzeitig vermitteln Sie persönlich einen eher experimentellen Zugang mit einem Faible für neue Ideen. Wie verknüpfen Sie diese unterschiedlichen Ansätze in der Praxis?

BR: Beim internationalen Vertrieb setzen wir auf Kooperationspartner:innen, die aktiv mit unserer Marke arbeiten, denn wir wollen nicht alles abdecken, sondern unsere Kapazitäten weiterhin darauf konzentrieren, Neues zu entwickeln. Ich selbst begebe mich gerne in eine Art Laborsituation und experimentiere vor mich hin, ohne dass mich andere voreilig stoppen. Letztendlich ist es uns dank dieser Methode und im Schulterschluss mit der Industrie gelungen, als kleines Unternehmen ein Massenprodukt auf den Markt zu bringen, das große Unternehmen zu kopieren versuchen. Das ist vollkommen ok, denn der Markt soll wichtige Innovationen, die den Umstieg von Plastik auf Holz ermöglichen, für die ganze Welt zugänglich machen. Dazu braucht es mehrere Player. Wir verstehen uns als Ideenlabor, das sich mit Dingen beschäftigt, mit denen wir nicht in erster Linie Geld verdienen, sondern etwas bewegen können.

SD: Was konkret bewegt sich mittlerweile bei Ihren Kund:innen?

BR: Anders als früher denken Konzerne wie Rewe oder Coop in der Schweiz inzwischen selbst aktiv über ihre Verpackungen nach und beziehen uns als Entwicklungslabor in einen Dialog ein. Da geht es auch stark um Mehrweglösungen aus Holzfasern im Beutel- und Tragtaschenbereich, z.B. für den Einkauf von losem Obst und Gemüse, um Verpackung so weit wie möglich zu vermeiden und mehrfach zu nutzen. Letztendlich sind alle von uns entwickelten Verpackungen kompostierbar. Der eigens dafür entwickelte Brand Packnatur® transportiert diese Vision und ist auch die Marke, mit der wir international auftreten.

SD: Mit dem Packnatur® Cellulose Netzschlauch hat sich vpz. vom Handelsunternehmen zum Hersteller erweitert. Welche Anpassungen wurden dadurch erforderlich?

BR: Das Unternehmen wächst sehr schnell. 2019 bauten wir eine eigene Produktion in Neudau in der Ost-Steiermark auf. Mittlerweile entsteht dort die vierte Halle. Nach Auslagerung eines Großteils der europäischen Textilindustrie nach Asien fanden wir in Neudau eine der letzten in Europa verbliebenen Garnproduktionen. Die Spinnerei, die uns ursprünglich belieferte, existiert heute leider nicht mehr, aber wir hatten das Glück, ehemalige Mitarbeiter:innen mit entsprechendem Knowhow zu übernehmen und konnten umgekehrt diesen Fachkräften mit neuen Designideen eine Beschäftigungsperspektive geben. Heute liefern wir unser Produkt an Supermarktketten von den USA bis Neuseeland aus. Allein in Europa kommen jährlich ca. 30.000 Tonnen Plastiknetze für die Lebensmittelverpackung zum Einsatz. Etwa 1.400 Tonnen davon konnten wir mit Holz ersetzen. In Laufmetern gemessen hätten wir mit dieser Innovation aus Österreich die gesamte Erde schon fünf Mal einwickeln können.

SD: Bremst der Erfolg der Holznetze Ihre laufende Forschung mit anderen biogenen Materialien?

BR: Natürlich hat der Ausbau unserer Kapazitäten im Bereich Holznetz und die Etablierung von Packnatur® viele Ressourcen gebunden. Dieses System ist für die Verpacker:innen einfach handhabbar, weil man auf dieselben Maschinen, auf die man früher das Plastiknetz stülpte, nun Holznetze geben kann. Damit können wir momentan sehr viel Wandel erwirken. Aber wir sind auch nach wie vor betreffend des Algen-Projekts in regem Austausch mit den relevanten Leuten aus der Forschung und könnten das Knowhow jederzeit aktivieren und weiterverfolgen. Wir haben dafür eine Pilotanlage gebaut und industrielle Vorversuche durchgeführt. Was wir noch nicht schaffen, ist dafür eine industrielle Großproduktion aufzubauen. Dafür fehlt uns das technische Knowhow und das Investitionskapital. Diesbezüglich saßen wir bereits mit internationalen Chemieunternehmen an einem Tisch, mussten aber feststellen, dass große Unternehmen träge sind und das Risiko scheuen, in etwas Neues zu investieren. Interessanter ist es, mit kleineren Unternehmen zu kooperieren, die wirklich etwas bewegen wollen. Die ungenutzten riesigen Algen-Ressourcen, die richtiggehende Wälder in den Meeren bilden, und sich in kurzen Wachstumsintervallen selbst regenerieren, haben ein enormes Potential.

SD: Abgesehen von Ihrer Affinität zur Natur suchen Sie in Ihren Modeprojekten auch den interkulturellen Austausch. Was bringt Ihnen das?

BR: Ich reiste für interkulturelle Modeprojekte in Länder wie Kuba, Niger, die Mongolei oder Sri Lanka, die man nicht primär mit der Modeindustrie verbindet. Dabei interessiert mich das Handwerk, denn die »Fast Fashion« führt dazu, dass Kulturgut verloren geht und die Menschen überall gleich angezogen sind. Durch die Globalisierung des Geschmacks verschwinden regionale Bekleidungstraditionen und auch die Werkstätten, die sie produzieren. Ich organisiere Projekte, bei denen heimische Designer:innen mit internationalen Akteur:innen zusammentreffen und gemeinsam über die Kultur der Bekleidung nachdenken. Dabei möchte ich andere Menschen ermutigen, sich mit ihrer Kreativität daran zu beteiligen, globale Probleme gemeinsam zu lösen. Umgekehrt habe ich von den Nomad:innen in der Mongolei etwas sehr Wesentliches gelernt: Wenn man durch die endlose Steppe fährt und keine Infrastruktur sieht, fragt man sich, wie die Menschen dort existieren können. Ich meine, dass es ihnen gelingt, weil sie so eng mit ihrer Umgebung verbunden sind, dass sie nie etwas tun würden, was Schaden anrichtet. Wenn die Nomad:innen ihre Jurte abbauen, räumen sie auch ihren Müll weg und lassen nichts zurück als einen Kreis trockenen Grases, weil sie wissen, dass sie im nächsten Jahr wiederkommen werden. Sie bedanken sich bei dem Platz, der ihnen und ihren Tieren ermöglicht hat, gut davon zu leben. Das ist eine wunderbare Geste. Es ist Ausdruck einer Haltung, die jeder erlangen sollte: Der Anspruch, einen Platz schöner zu verlassen, als man ihn angetroffen hat.

Fotos: Marija Kanižaj

vpz. Verpackungszentrum
Anton-Mell-Weg 14
8053 Graz

www​.pack​na​tur​.at

Interview mit Valerie Wolff (VELLO)

2016 stellen der Industriedesigner Valentin Vodev und die Unternehmensentwicklerin Valerie Wolff das erste VELLO E‑Faltrad vor und starten eine Crowdfunding-Kampagne, mit der sie die Produktion der ersten Serie mit 500 Falträdern finanzieren. Im Herbst 2023 sind über 10.000 VELLOs auf der Straße, darunter auch ultraleichte Cargo-Bikes mit Elektromotor. Co-Geschäftsführerin Valerie Wolff schildert die Vorteile von organischem Wachstum auf Basis einer klaren Vision, transparenter Strukturen und durch den Rückhalt einer begeisterten Community.

Sabine Dreher: Welchen Hintergrund hast du persönlich mitgebracht, bevor du in die Geschäftsentwicklung bei VELLO eingestiegen bist?

Valerie Wolff: Ich habe Wirtschaft studiert, kenne mich mit Zahlen und im Marketing aus, aber ich bin durchaus designaffin. Die Produktentwicklung begann 2014, drei Jahre später gründeten Valentin und ich als gleichberechtigte Partner eine GmbH, mit der wir die Kommerzialisierung unseres Faltrades starteten.

SD: Eure Erfolgsgeschichte klingt wie ein Märchen. Ist sie euch einfach passiert oder war die Entwicklung strategisch geplant?

VW: Unser Grundgedanke war »Design your own Future«. Wir wollten eine bessere Stadt entwickeln und fragten uns: Wie wollen wir leben? Wie wollen unsere Kinder leben? Was können wir dazu beitragen? Da kamen wir auf die Idee mit dem Fahrrad. Wir haben das Glück, in Wien zu wohnen, einer Stadt mit einem gut ausgebauten öffentlichen Verkehrsnetz, in der man leicht auf das Auto verzichten kann. Natürlich muss man auch ein wenig naiv sein in Bezug auf die finanziellen Mittel, die für den kommerziellen Launch eines neuen Produktes erforderlich sind. Das Projekt entstand aus Leidenschaft. Der gemeinsame Grundgedanke »Let’s make the world better« führte uns zum Crowdfunding. Damit wollten wir die Realisierung probieren.

SD: Wie kann man sich das konkret vorstellen? Ihr hattet eine Vision, eine Idee und eine gewisse Bestätigung aus eurem Umfeld. Was gab euch die Zuversicht, dass es funktionieren wird?

VW: 2016 konnten wir einen ausgefeilten Prototyp vorweisen, mit dem wir in kurzer Zeit mit 500 Unterstützer:innen und ohne Investor:innen eine Million Euro zusammenbrachten. Die vielen Vorbestellungen gaben uns das Gefühl, dass die Leute dieses Produkt wollen. Gleichzeitig spürten wir den Druck, liefern zu müssen, und zwar zu dem Preis, mit dem wir das Rad angeboten hatten. An dem Punkt haben wir Vollgas gegeben und die GmbH gegründet. Danach entwickelte sich einiges durch Zufall. Wir hatten einen Businessplan, Meilensteine und ein Pitch Deck vorgelegt, um große Investoren anzusprechen, aber letztendlich stemmten wir alles selbst.

SD: Musste der Prototyp vor der Produktion der ersten Serie noch angepasst werden?

VW: 2014 starteten wir mit der Idee für ein kleines Kompaktrad, das auch in einen Aufzug passen sollte. Als wir die ersten zwanzig Stück herzeigten, merkten wir schnell, dass dies nicht ausreichte. Ein Produkt braucht eine klare Kategorie. Entweder man kann es komplett zusammenfalten oder nicht. Ein Zwischending funktioniert nicht. Daher nutzten wir die Crowdfunding-Aktion 2016, um die erste Kleinstserie mit einer neuen Faltung weiterzuentwickeln und führten mit der Selbstladetechnologie ein zusätzliches Alleinstellungsmerkmal ein. Unser Mitbewerber, der englische Hersteller Brompton, führte damals noch keine Elektro-Version. Als wir mit dem leichtesten Elektro-Faltrad mit Konnektivität herauskamen, konnten wir diese Schlagworte für uns besetzen und so kennt man VELLO jetzt als das selbstladende, superleichte Elektrofaltrad mit Riemenantrieb made in Austria.

SD: Wie ging es nach Auslieferung der ersten 500 Falträder weiter?

VW: Danach stellte sich sofort die Frage nach dem Aufbau eines Händlernetzes, denn: Was würde geschehen, wenn die Leute Support für ihre Räder brauchen? Einige hatten uns bereits darauf angesprochen. Innerhalb eines Jahres verkauften wir das VELLO über die ersten 30 Partner, die den Kunden auch die nötigen Services bieten. Die Costumer Experience, die Gewissheit, dass alles rundherum funktioniert, ist natürlich sehr wichtig.

SD: Kannst du diese Entwicklung zahlenmäßig einordnen? Habt ihr inzwischen Investoren oder finanziert ihr das Wachstum nach wir vor über die Community?

VW: Wir haben noch immer keine Investor:innen. Valentin und ich sind zu je 50 % an der VELLO GmbH beteiligt. Mittlerweile haben wir einige Schwerpunktmärkte, und wir expandieren weiter.

SD: Du erwähnst Brompton als Mitbewerber. Der englische Pionier in Sachen Faltrad firmiert seit 1975 und lieferte laut eigenen Angaben im Jahr 2022 mit 800 Angestellten über 100.000 Fahrräder aus. Wie agiert man als Start Up in einem solchen Umfeld?

VW: Dieser Hersteller hat sich über Jahre sehr langsam entwickelt. Man investierte in teure Maschinen. Unser Vorteil ist, dass wir jung sind und Vieles anders machen, indem wir das VELLO mit dem neuesten Stand der Technik konzipieren. Wir können uns mit neuen, innovativen Akteur:innen auf dem Markt zusammentun. Zum Beispiel mit Giovanni, dem Erfinder unseres Motors. Er hat ein Doktorat am Polytechnikum in Milano. Ihn lernten wir zufällig auf einer Messe kennen, sahen seinen neuentwickelten selbstladenden Motor, der automatisch erkennt, wann er sich etwa beim Abwärtsfahren Energie zurückholen kann. Statt einer Kette mit Verschleißteilen verwenden wir einen wartungsarmen Riemenantrieb. Wir setzen die besten Scheibenbremsen und 20-Zollreifen ein. 2016 führten wir das Neueste zusammen, was es gab, um das Faltrad mit den besten Fahreigenschaften herzustellen. Während Klappräder früher auf kurze Strecken ausgelegt waren, schlossen wir diese Lücke und brachten ein Faltrad für jede Meile auf den Markt.

SD: Der Erfolg bestätigt euer Vorgehen. Wie groß ist das Team jetzt und wie ist die Produktion organisiert?

VW: Wir haben 2018 zu zweit begonnen und sind jetzt 30 Leute. Es gibt ein paar Sonderteile, die wir in verschiedenen Ländern produzieren lassen. Standardteile wie Rahmen, Riemen oder Scheibenbremsen werden in unserer Produktion in Wien-Meidling montiert.

SD: Der Absatz von Falträdern hat einen enormen Boom erfahren. Kannst du mir anhand von ein paar Eckzahlen skizzieren, was das für eure Produktion bedeutet?

VW: Hätten wir externe Investoren an Bord geholt, hätten sich dank der höheren Liquidität unsere Zahlen vermutlich vervierfacht. Das ist aber nicht der Fall. Weil wir unsere Komponenten in der Pandemie-Zeit bis zu zwei Jahren im Vorfeld bestellen und teilweise bezahlen mussten, galt es vorausschauend zu planen. Die Corona-Pandemie verschärfte die Situation mit den Lieferketten. Wo die Bestellfristen vorher vier Monate dauerten, waren es plötzlich zwei Jahre. Daher konnten wir nicht so reagieren, wie es der Markt zugelassen hätte.

SD: Nach welcher Formel planst du als Geschäftsführerin euer Wachstum?

VW: Im Finanzplan gehe ich pro Jahr von mindestens 40 Prozent Umsatzsteigerung aus. 2023 stehen wir bei ca. vier Millionen Euro, das entspricht ungefähr 3.500 Fahrrädern, wobei man sehen wird, wo genau sich das einpendelt. Die Verzögerungen aus den letzten Jahren sind abgearbeitet und so rechnen wir mit keinen weiteren Lieferproblemen.

SD: Die Stadt Wien fördert derzeit den Kauf von Falträdern mit bis zu 600 Euro, den Kauf eines Lastenrades mit bis zu 2000 Euro. Wie wirkt sich diese Förderung auf euren Verkauf aus?

VW: Sie ist spürbar. Die Förderung kam im März 2023 und löste in Wien eine erhöhte Nachfrage aus. Gleichzeitig erreichten uns im Mai Beschwerden unserer Händler in Deutschland, die sich aufgrund des schlechten Wetters und eines Rückgangs der Kaufkraft Sorgen um den Absatz machten. Zusätzlich trafen dort die verzögerten Bestellungen der großen Hersteller von vor zwei Jahren ein, sodass viele Händler mit Liquiditätsproblemen konfrontiert waren. Als kleine Hersteller waren wir in der Lage, auf diese Situation flexibel zu reagieren und gingen den weichen Weg. Wir bedienten zunehmend die gesteigerte Nachfrage in Wien in einem eigens eingerichteten Pop-Up-Store und in unserem fixen Shop. Dank der Förderung konnten wir statt vier, nun zehn neue Leute in unser Team aufnehmen.

SD: Auf eurer Website sieht man, dass ihr bereits ein dichtes Händler:innennetz in Europa beliefert, aber auch in Asien gibt es drei Stores, die VELLOs anbieten. Ist der Markt außerhalb Europas für euch interessant?

VW: Es kommt auf das Grundkonzept an, das hinter einem Partner steht. Während der Crowdfunding-Kampagne wollte uns ein begeisterter Fan in Australien 30 Stück abkaufen, aber ohne entsprechenden Hintergrund macht das wenig Sinn. Wenn wir einen Markt bearbeiten, brauchen wir verlässliche Partner und Strukturen.

SD: In deiner Darstellung kommst du oft auf Aspekte zu sprechen, die man als »soft issues« bezeichnen könnte, also soziale und kommunikative Prozesse. Welche Rolle spielt die Community in eurem Marketing?

VW: Wir betreiben fast ausschließlich organisches Marketing. Bisher haben wir alle Ressourcen in die Betreuung der Kunden investiert, die wir schon haben. Wir wachsen durch Weiterempfehlung, machen kaum bezahlte Anzeigen. Was uns gegenüber anderen Marken auszeichnet, ist, dass wir wirklich eine Story haben. Der Weg, für den wir uns mit dem Crowdfunding entschieden haben, bedeutet, dass man vollkommen transparent kommuniziert. In der Anfangsphase verschickten wir jeden Monat einen Newsletter, in dem wir über alle Schwierigkeiten, Hürden und Fortschritte informierten. Unsere Community ist Social Media-affin. Teilweise waren diese Kontakte sehr persönlich und halfen beim Lösen von Problemen.

SD: Ist das Verhältnis zu euren Kund:innen noch immer so?

VW: Mittlerweile sind über 10.000 VELLOs auf der Straße und ich merke, dass unsere Story präsent ist – das macht Freude.

SD: Eure Geschichte ist großartig und inspirierend. Wie wird sie in den nächsten fünf bis zehn Jahren weitergehen?

VW: Wir machen sicher im urbanen Mobilitätsbereich weiter, entwickeln funktionelles Design für die Stadt. Wir wollen Lösungen anbieten, die dazu beitragen, dass Leute keine Bedenken haben, mit einem Elektro-VELLO durch die Stadt zu fahren. Es ist diebstahlsicher, wenn es regnet, kann man in die U‑Bahn einsteigen, durch die Rekuperation hat man kein Risiko, auszulaufen. Bei der Entwicklung des Lastenrades lernten wir im Austausch mit der Community, dass viele vor der Größe und dem Gewicht eines Lastenrades zurückschrecken, weil es in ihrem Kellerabteil schwer unterzubringen ist. Mit unserem leichten Cargo-Bike erreichen wir Leute, die bisher die großzügige Förderung der Stadt Wien wegen solcher Bedenken nicht in Anspruch nehmen wollten. Das SUB wiederum lässt sich gut verstauen, man kann damit zwei Kinder oder Lasten bis zu 210 Kilo transportieren und das Rad dank seiner Leichtigkeit selbst in den Keller tragen und platzsparend verstauen.

SD: Welche externen Faktoren müssen angesichts der Brisanz der Klimakrise gegeben sein, um einem erfolgreichen Produkt auf Dauer Rückenwind zu geben?

VW: Immer, wenn der Nachhaltigkeitsgedanke und klimafreundliche Entwicklung mit Wirtschaft zusammentreffen, hilft diese Konstellation der Politik sich zu einigen und Veränderungen voranzubringen. Wenn etwa eine Forderung der Grünen nach dem Ausbau des Radwegnetzes auf eine Forderung der Wirtschaftsvertreter:innen nach Parkplätzen vor Einkaufszentren stößt, zeigt ein funktional durchdachtes Produkt, das auch noch Arbeitsplätze und Wertschöpfung generiert, einen Lösungsweg auf. Diese Konstellation ist der Schlüssel, mit dem wir substanziell vorankommen.

Fotos: VELLO

VELLO
Reinprechtsdorfer Straße 58 – 60
1050 Wien

www​.vel​lo​.bike

Interview mit Helen Thonet (TYP)

Helen Thonet und Florian Lambl
Helen Thonet und Florian Lambl

TYP Distribution & Design GmbH ist ein Entwickler, Hersteller und Vertrieb von Möbeln, Objekten und Editionen. 2018 von Helen Thonet und Florian Lambl in Wien gegründet, vertreibt das Label eine laufend wachsende Kollektion. Dazu gehören Neuauflagen von Möbeldesigns der 1930er Jahre erweitert durch zeitgenössische Auftragsarbeiten und Grafik-Editionen. Das auf das Projektgeschäft ausgerichtete Programm soll neben einer Internetplattform durch eine Roadshow und Schauräume bekannt gemacht werden. Im Gespräch gibt Helen Thonet Auskunft über Motivation und Zielsetzung des Unternehmens.

Sabine Dreher: Ihr Name steht für den legendären Möbelhersteller, der ab der Mitte des 19. Jahrhunderts den Möbelbau revolutionierte, der Kern der Kollektion des Unternehmens, das Sie gemeinsam mit Florian Lambl aufbauen, besteht aus Möbelentwürfen der 1930er Jahre. Wie ist es zu dieser Initiative gekommen?

Helen Thonet: Florian und ich stammen sozusagen aus derselben Branche. Wir kennen einander schon lange. Er hat sowohl Kommunikations- als auch Produktdesign studiert. Bevor er 2004 sein eigenes Büro gründete, hatte er für Meike Meiré in Köln gearbeitet. Seit 2006 betreibt er sein eigenes Büro in Berlin, das u.a. für den gesamten Markenauftritt des italienischen Möbelherstellers Mattiazzi verantwortlich war. Ich bin natürlich durch meinen familiären Hintergrund geprägt und als Nachfolgerin meiner Schwiegermutter im Thonet-Archiv für Echtheitsbestimmungen zuständig. Wir sagten: Da fehlt etwas. Es gibt eine Nische, die wir füllen möchten und dafür suchen wir etwas Neues. Ursprünglich war mal die Idee, Designs von Frauen herauszugeben, dann aber stießen wir auf Erich Dieckmann, von dem wir einen Stuhl gesehen hatten. Uns hat begeistert, dass es ganze Bücher mit Entwürfen gibt, die nie realisiert worden sind. Wir erkannten die Qualität und wollten das ändern. Mit der Entwicklung des Stuhls D1 hat das Projekt TYP begonnen..

SD: Wie genau seid ihr die Entwicklung angegangen und welche Größenordnung schwebte euch beim Start vor?

HT: Dieckmann ist ein besonderer Fall. Er ist seit mehr als 75 Jahren tot. Anders als die meisten Bauhaus-Künstler hat Dickmann Deutschland nicht verlassen, sein kreatives Schaffen wurde ab 1933 unter der Nazi-Herrschaft verhindert. Er starb bereits 1943 und nachdem wir keine Nachfahren ausfindig machen konnten, sind Lizenzen kein Thema. Aber auch unser Interesse an den Entwürfen von Josef Albers stieß auf Wohlwollen und wir konnten sofort produzieren. Die italienische Legende Cini Boeri hat Florian kurz vor ihrem Tod im September 2020 in Mailand besucht und sie hat die Neuauflage ihres Bacone Sofas, das wir im Programm haben, noch persönlich abgesegnet. Im Portfolio hatten wir von Anfang an auch den PEL Chair, ein Klassiker des österreichischen Architekten Bruno Pollack aus 1931, der vor allem in England sehr erfolgreich war. Jasper Morrison hat das Design überarbeitet und den heutigen Ansprüchen angepasst.

SD: Wie habt ihr das Projekt hochgezogen?

HT: Nachdem wir nicht nur Dieckmann, sondern auch Albers, Boeri, Morrisson und einige andere im Portfolio hatten, beauftragten wir eine amerikanische Werbeagentur für die Promotion. Die Idee war, Architekten zu treffen und so wollten wir unser Programm zunächst mit einer Roadshow bekannt machen, aber dann kam die Pandemie dazwischen und wir mussten den Plan aufschieben. Dafür haben wir die Zeit genutzt, um auch noch andere Produkte zu entwickeln. Das war eine gute Gelegenheit, um unser Sortiment auszudifferenzieren, aber den eigentlichen Start haben die Lockdowns eineinhalb Jahre lang verzögert.

»D1«, Erich Dieckmann
»D1«, Erich Dieckmann
»Pel«, Jasper Morrison
»Pel«, Jasper Morrison
»Beautiful Numbers«, Stefan Sagmeister
»Beautiful Numbers«, Stefan Sagmeister

SD: In ihrem Shop bieten Sie auch Grafik-Editionen an. Was hat es mit den Prints auf sich?

HT: Wir haben zwei Edition im Programm No News Today von Meike Meiré ist eine Siebdruck-Serie mit sieben Motiven, in denen Mike Layout-Raster der Zürcher Zeitung mit Einflüssen aus der Bauhaus-Ästhetik überlagert. Beautiful Numbers von Stefan Sagmeister ist eine fünfteilige Serie, die messbare Ergebnisse von positiven gesellschaftlichen Entwicklungen visualisiert. Beide Auflagen passen ästhetisch und inhaltlich zu unserer Ausrichtung und sind daher eine schlüssige Ergänzung unseres Programms.

SD: Ich habe in einem Interview den Satz gelesen, dass ihr auf der Suche nach Designs seid, die so genial und plausibel gedacht sind, dass sie ökonomisch und zu vernünftigen Preisen herstellbar sind.

HT: Das trifft bei Dieckmann ganz besonders zu. Wir haben es zunächst gar nicht so verstanden, aber als es dann zur Produktion kam, zeigte sich, dass wir keine CNC-Fräsen benötigen und in der Verarbeitung kaum Verschnitt entsteht. Bei Albers ist es ähnlich. Das zeichnet unsere Suchbewegung aus, es ist aber vielleicht auch einfach das, was uns gefällt, zum Beispiel auch bei den Entwürfen von Klemens Schillinger. Alles ist klar gedacht und der Nebeneffekt ist eine effiziente Produktion.

SD: Die Pandemie hat euch gebremst, aber ihr habt euer Programm dennoch gestartet. Eure Zielsetzung ist das Projektgeschäft, die Zusammenarbeit mit Architekt:innen. Wie sind eure bisherigen Erfahrungen?

HT: Unser Plan geht so weit auf. Wir haben bisher die Kollektion im Rahmen der Möglichkeiten präsentiert. Dabei hatten wir zwei Stationen der Roadshow; in Wien und in Berlin. Unsere große Tour ist nicht abgesagt, die wird auf jeden Fall kommen, denn solche Produkte brauchen physische Präsenz, nicht zuletzt um den Interessierten Gelegenheit zu geben, die handwerkliche Qualität zu prüfen. Das ist für Architekten besonders wichtig, weil es in deren Verantwortung liegt, dass ein Produkt, das sie einsetzen, auch wirklich etwas taugt. Nur online funktioniert das nicht.

»A3 Daybed«, Josef Albers
»A3 Daybed«, Josef Albers
»A1 Lounge Chair«, Josef Albers
»A1 Lounge Chair«, Josef Albers

SD: Ihr habt sehr hohe Qualitätsstandards betreffend Material und Verarbeitung, die ausschließlich in Europa erfolgt. Welche Auswirkungen haben die aktuellen Preisexplosionen auf eure Produktion?

HT: Wir produzieren in Italien und beziehen unsere Polster aus Slowenien. Von der Preisexplosion spüren wir noch wenig. Mag sein, dass sich in den Transportkosten einiges niederschlägt, aber sonst sind wir davon noch nicht betroffen.

SD: Wie sehen eure kurzfristigen und langfristigen Pläne für die Zukunft aus?

HT: Wir müssen wachsen und möchten uns weiter öffnen. Dazu gehört, dass wir Schauräume einrichten werden, gerne auch in Verbindung mit Cafés. Wir wollen zeigen, dass unsere Produkte funktionieren und sich für das Projektgeschäft eignen.

SD: Nach welchen Kriterien sucht ihr die Partner für eure zeitgenössischen Designs aus, oder fliegen euch die Gelegenheiten quasi zu?

HT: Wir haben verschiedene Herangehensweisen, aber oft erfolgen die Kontakte aus unserem direkten oder erweiterten Umfeld, wie aktuell die Zusammenarbeit mit der Designerin Magdalena Casadei.

SD: Könntet ihr beschreiben, welche Entwicklungen im zeitgenössischen Design ihr aktuell spannend findet? Laienhaft betrachtet, kann man sich manchmal gar nicht vorstellen, dass es noch einen weiteren Stuhl braucht, wo es doch schon so viele Modelle gibt.

HT: TYP ist mehr auf den Lifestyle-Markt ausgerichtet als darauf, neue Möbel zu entwickeln. Dabei wollen wir aber nicht zwingend trendig sein, sondern schauen auch gerne in die andere Richtung als die meisten Mitbewerber, auch wenn das vielleicht arrogant klingt.

SD: Das finde ich nicht, aber lässt sich das präzisieren? Zeichnet sich das Antizyklische eurer Ausrichtung durch den Blick in die Vergangenheit aus, oder gibt es noch andere Faktoren, die euch antreiben?

HT: Ich glaube, es ist eine Mischung. In erster Linie fragen wir uns, warum sollte man neue Designs produzieren, wo es doch so viele perfekte, alte Entwürfe gibt, die nie produziert wurden. Das trifft etwa bei Diekmann zu und dann gibt es die andere Herangehensweise wie bei Klemens Schillinger: Uns schwebte ein Stuhl in eine bestimmte Richtung vor und als wir ihn zufällig in einer Galerie sahen, war klar, dass der gut in unsere Kollektion passt. Wir blicken nicht strategisch in die Zukunft, sondern kultivieren diesen impulsiven Zugang, der es uns erlaubt, Dinge zu mischen. Wir sehen etwas und sagen: Das ist super. Das machen wir.

»Bacone«, Cini Boeri
»Bacone«, Cini Boeri

SD: Wobei, in deiner Beschäftigung mit dem Thonet-Archiv pflegst du ja einen dezidiert wissenschaftlichen und analytischen Blick.

HT: Ja, das stimmt und es ist immer spannend zu sehen, wie modern die Möbel aus den 1920er und 1930er Jahren gedacht und wie gut sie auch nach Jahrzehnten noch erhalten sind.

SD: Was dürfen wir in Zukunft von euch erwarten?

HT: Wir haben verschiedene Projekte laufen und sind offenen Auges für neue Entwürfe unterwegs. Die Kollektion wächst mit der Erfahrung und der Erkenntnis, in welchen Bereichen wir unser Programm ergänzen wollen. Das Bauchgefühl ist ein wichtiger Teil, aber letztendlich basiert jede Entscheidung auf einer Analyse und erfolgt ganz bewusst nach einer intensiven Auseinandersetzung innerhalb des Teams, in der alle Beteiligten ganz unterschiedliche Blickwinkel einbringen.

Ein wichtiger Faktor ist natürlich die Frage, unter welchen Bedingungen wir ein Design auch in wirtschaftlicher Hinsicht produzieren können. Wir verstehen uns als demokratischer Möbelanbieter, weil wir den Anspruch haben, sehr gutes Design zu erschwinglichen Preisen anzubieten. Unter diesem Aspekt müssen wir uns auch schon mal von einem Projekt verabschieden. Zum Beispiel hatten wir von Cini Boeri eine Lampe, die wir großartig fanden, aber in Marmor war sie in der Herstellung zu aufwendig und zu teuer. So etwas ist dann traurig, aber dass die Preise am Schluss stimmen, ist ein wichtiger Aspekt.

Fotos: TYP
»Tube«, Klemens Schillinger
»Tube«, Klemens Schillinger

TYP GmbH
Schlösselgasse 11/1/26
1080 Wien

www​.typ​.land

Interview mit Reinhard Kepplinger (Grüne Erde)

Reinhard Kepplinger
Reinhard Kepplinger

Reinhard Kepplinger (*1957) ist, gemeinsam mit Kuno Haas, seit 1993 Eigentümer und Geschäftsführer von Grüne Erde. Das Unternehmen, das 1983 als kleiner ökologischer Alternativbetrieb mit zunächst einem einzigen Produkt startete, betreibt mittlerweile 14 Verkaufsräume im deutschsprachigen Raum und generiert mit knapp 550 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen Umsatz von ca. 76 Millionen Euro (GJ 2020 – 21).

Im Gespräch mit Design Everyday spricht Reinhard Kepplinger über ökologische Werte, natürliche Rohstoffe und nachhaltiges Wachstum.

Sabine Dreher: Grüne Erde wurde vor fast 40 Jahren nach einer bestimmten Philosophie und mit einer starken Vision gegründet. Was unterscheidet die Haltung der 1980er Jahre vom ökologischen Lifestyle der Gegenwart?

Reinhard Kepplinger: Von den Werten her nicht viel, betrachtet man das äußere Erscheinungsbild liegen Welten dazwischen. Damals präsentierte sich die grün-alternative Bewegung in einer Art Müsli-Look. Auch ich bin in Latzhosen herumgelaufen. Inzwischen schauen nicht nur die Produkte anders aus, sondern auch die Menschen, die dahinterstecken –
die Werte sind aber die gleichen geblieben. Für uns bestand die zentrale Idee von jeher in der Verbindung von Ökologie und sozialem Denken mit Qualität und Langlebigkeit.

SD: Wie hat sich in diesem Zusammenhang die Rolle der Ästhetik verändert?

RK: Wir haben uns von Anfang an von anderen unterschieden, die in diesem Bereich arbeiteten, weil unser Konzept von Ökologie umfassend ausgerichtet war. Man kann ökologische Produkte nicht herstellen, ohne auf die Ästhetik zu achten, denn wenn einem nach Jahren nicht mehr gefällt, was man hat, wird man es entsorgen und dann ist der ökologische Vorteil weg. Die Gestaltung unserer Produkte sollte zeitlos ansprechend sein. Ganz am Anfang, als wir uns noch keine Designer leisten konnten, orientierten wir uns am Vorbild japanischen Designs. Bei unserem ersten Schrank verwendeten wir Türen und alte Holzverbindungen, die wir uns von japanischen Trennwänden abgeschaut haben. In Europa wurde damals in den 1970er und 1980er Jahren das alte Handwerk über Bord geworfen und man hatte die traditionelle Material- und Formensprache durch Resopal-Platten und Verbundmaterialien ersetzt.

SD: Sie sagen, dass sie sich als kleines Öko-Unternehmen damals Designer nicht leisten konnten. Könnte man diesen Satz heute umdrehen und sagen, dass man es sich heute nicht mehr leisten, ohne Designer zu produzieren?

RK: Wir haben, sobald es uns möglich war, die Zusammenarbeit mit Designern begonnen. Der erste wirklich Designer, mit dem wir gearbeitet haben, war ein Freund, mit dem ich das Schauraumgebäude umgebaut habe. Er war dann lange der einzige, der für uns Möbel entworfen hat, denn damals war ein kleiner Alternativbetrieb keine erstrebenswerte Referenz. Ökologisch zu arbeiten, war nicht cool. Aber das hat sich in den letzten zwanzig Jahren deutlich verändert. Jetzt sind wir in der glücklichen Position, dass wir uns die Designer, mit denen wir arbeiten wollen, aussuchen können.

SD: Können Sie den Prozess einer Produktentwicklung näher beschreiben?

RK: Es beginnt mit einem Mix aus einer Analyse unseres Sortiments betreffend Funktion, Material, Gültigkeit und gestalterischer Richtlinien. Das bezieht Rückmeldungen unserer Kunden, Ideen von Mitarbeitern, dem Produktmanagement, dem Verkauf und dem Vertrieb mit ein. Daraus entsteht ein Briefing für den Designer, das unsere Vorstellungen relativ klar definiert. Meistens wird das nicht in einem Zug umgesetzt, sondern in mehreren Runden, in denen man sich gemeinsam an das Produkt herantastet. Der Prozess von der Idee bis zur Produktion kann je nach Schwierigkeit und Workflow zwei bis drei Jahre dauern, oder – wenn alles passt – auch nur ein halbes Jahr.

SD: Wie viele Produkte pro Jahr kommen neu in ihr Sortiment?

RK: Wir haben eine Faustregel: Wir wollen unser Sortiment alle zehn Jahre zu hundert Prozent erneuern. Das bedeutet, dass wir pro Jahr ca. zehn Prozent der Produkte erneuern, wobei sich das nicht auf das einzelne Produkt herunterbrechen lässt. Es gibt Klassiker, wie wir seit 30 Jahren im Sortiment führen. Unser erstes Produkt war eine Matratze, die Weiße Wolke, gefolgt von Schlafmöbeln und Bettdecken. In diesem Bereich haben wir in puncto Qualität und Komfort noch immer einen großen Vorsprung.

Matratze »Weiße Wolke«
Matratze »Weiße Wolke«

SD: Ihr Angebot definiert sich über den ökologischen Anspruch. Wie genau lösen Sie diesen ein?

RK: Unser ehernes Grundprinzip ist, dass wir ausschließlich nachwachsende Rohstoffe verwenden, wo immer möglich aus kontrolliert-biologischen Anbau oder kontrolliert biologischer Tierhaltung. Einzelne Ausnahmen machen wir nur, wenn der Rohstoff ausreichend verfügbar ist, wie zum Beispiel beim Quarzsand für Glas, das wir für unsere Lampen und Schranktüren brauchen. Da die Länge der Transportwege ökologisch relevant ist, verwenden wir in erster Linie Materialien, die lokal verfügbar. Das Holz für unsere Möbel darf nicht weiter als maximal 500 Kilometer zur Tischlerei transportiert werden. Im Normalfall liegen die Sägewerke, die unsere Tischlerei in Kärnten versorgen, im Umkreis von 100 Kilometern.

Bei unseren GOTS-zertifizierten Naturmatratzen müssen wir Kompromisse eingehen, da es keine heimischen Naturmaterialien gibt, die u.a. die Elastizität unserer Matratzen gewährleisten. Deshalb lautet unsere Maxime bei Naturlatex, Kokosfaser oder Baumwolle, dass sie aus kontrolliert biologischem Anbau stammen müssen. Bei allen Grüne Erde-Produkten achten wir auf transparente Lieferketten. Wenn wir nicht mehr klar nachvollziehen können, wo der Rohstoff herkommt und wie er verarbeitet wird, dann verabschieden wir uns von einem Material und suchen dafür einen adäquaten Ersatz. Wie etwa bei Kaschmir, das wir seit 2017 nicht mehr verwenden und stattdessen Alpakawolle und Yakhaar verarbeiten. Unsere konsequent ökologische Haltung erfordert oft eine aufwendige Tüftelei, aber dank hoher Leidenschaft, Engagement und Kreativität unserer Mitarbeiter werden wir immer wieder fündig.

SD: Welche Konsequenzen erwarten Sie aus der aktuellen Preisexplosion auf den Rohstoffmärkten?

RK: In unserer Branche ist diese Explosion schon passiert. Die Preise für manche Hölzer sind bereits im vergangenen Jahr extrem gestiegen, Textilien sogar bis zu 80 Prozent. Nach einem heftigen Jahr, erwarte ich, dass sich der Trend wieder einfängt. Aber ja, die Preisentwicklung hat sich auch bei uns schon durchgeschlagen. Dennoch haben wir mehr Preisstabilität als jene, die zur Gänze aus China importieren, da ein hoher Anteil der Wertschöpfung bei uns in Österreich liegt. 60 bis 70 Prozent des Sortiments werden in unseren eigenen Werkstätten in der Grüne Erde-Welt in Oberösterreich und in der Tischlerei in Kärnten produziert. Dadurch haben wir mehr Preisstabilität als jene, die zur Gänze aus China importieren.

Grüne Erde-Welt
Grüne Erde-Welt
Matratzenfertigung
Matratzenfertigung

SD: Wo werden die restlichen 30 Prozent ihrer Produktion herstellt?

RK: In unseren Produktionsstätten beschäftigen wir insgesamt rund 130 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Für spezielle Fertigungsmethoden haben wir zusätzlich langjährige Partnerschaften. Um zwei Beispiele zu nennen: Unsere Grüne Erde-Möbelstoffe aus 100 % Schafschurwolle sind in 3‑jähriger Pionierarbeit gemeinsam mit der Tuchfabrik Gebrüder Mehler entstanden und werden in der bayerischen Oberpfalz gewebt. Der Teppich Akri, der auch auf der Vienna Design Week zu sehen war, wird in Handarbeit auf alten Webstühlen in Ungarn gewebt, das Design stammt von Natalie Pichler aus Linz. Wir kooperieren gerne mit Spezialisten, wobei die Zusammenarbeit mit dem Designer bei uns im Almtal stattfindet. Dabei sitzen die Kollegen vom Partnerunternehmen, Möbelkonstrukteure und andere Spezialisten mit am Tisch.

SD: Nachhaltiges Wachstum hat in Ihrem Unternehmen nicht nur metaphorisch eine Schlüsselrolle. Wie gehen Sie damit um?

RK: Das Thema beschäftigt uns sehr. Wir zielen bewusst nur auf den deutschsprachigen Markt, weil wir so überschaubare Transportwege garantieren können. Aktuell erreichen wir in Deutschland 60 % Umsatz, 35 % in Österreich und 5 % in der Schweiz. Wenn wir in Deutschland annähernd so stark werden wollen wie in Österreich, läge das Volumen beim 5 – 6‑Fachen. Das ist nicht einfach, aber wir arbeiten in diese Richtung. Dabei wollen wir kein überbordendes Wachstum. Unser Konzept hat sich ja nicht aus einer Marketingidee entwickelt, sondern aus dem Wunsch, anders zu leben und anders zu wirtschaften.

Wir wollen unser Leben nicht damit verbringen, Produkte herzustellen, von denen wir wissen, dass sie für Mensch und Natur schädlich sind, sondern im Gegenteil: Wir wollten für uns und unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Arbeitsplätze schaffen, die uns ein Leben ermöglichen, in dem wir das Gefühl haben, unter wohltuenden Bedingungen mit Spaß an der Arbeit etwas Sinnvolles zu machen. Unser Wachstumsziel liegt bei fünf bis zehn Prozent pro Jahr. Momentan sind wir bei sieben. In dieser Größenordnung verfügen wir über qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und können die Entwicklung so gestalten, dass die Prozesse funktionieren und die Qualität eingehalten wird.

»Asensio«, Thomas Feichtner
»Asensio«, Thomas Feichtner

SD: Sie kommen aus dem Versandhandel und vertreiben Ihr Sortiment ausschließlich direkt. Mittlerweile betreiben Sie sieben Stores in Österreich und sieben in Deutschland. 2018 wurde auf einem Areal von 25 Hektar die Grüne Erde-Welt eröffnet. Wie bewährt sie sich?

RK: Die Grüne Erde-Welt haben wir gebaut, um einen Ort zu schaffen, an dem wir zeigen können, wie unsere Produkte entstehen und woraus sie gemacht werden. Und wo wir auch unsere Wurzeln im Almtal bekannter machen wollen. Wir haben bald gemerkt, dass wir viele Leute, die uns nur aus der Ferne kennen, herbringen und begeistern können. Dann hat uns die Pandemie zwischenzeitlich einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Mittlerweile ist das Interesse der Besucherinnen und Besucher aber wieder gestiegen. Hier in der Grüne Erde-Welt können wir unsere Philosophie weitergeben. Unser Veranstaltungsprogramm verstehen wir auch als Bildungsauftrag. Es umfasst nahezu alles, was mit Architektur, Design, Handwerk und Natur zu tun hat. Manche unserer Führungen und Veranstaltungen haben gar nichts mit unseren Produkten zu tun, sondern beziehen sich rein auf die Natur und Lebensräume, die das Gebäude umgibt. Diese Themen wollen wir erlebbar machen, auch wenn das unmittelbar nichts mit Möbeln und Matratzen zu tun hat. Ökologie ist für uns kein Marketingtool. Es geht nicht darum, ein CO2-Neutral-Label irgendwo aufzudrucken, sondern um eine umfassende Betrachtung von Leben und Arbeiten in Verbindung mit der Natur. Dazu gehört Ernährung genauso wie die Frage, wie unsere Betriebsstätten aussehen, wie wir Menschen arbeiten wollen und welche Lebensräume wir unseren Tieren und Pflanzen zur Verfügung stellen.

SD: Wie ist Ihr aktuelles flächenmäßiges Wachstum im Bereich von Betriebs- und Vertriebsstätten mit Ihren Werten vereinbar?

RK: All diese Entwicklungen bauen auf unseren Werten auf: Unsere Firmenzentrale befindet sich im Ortszentrum von Scharnstein. Letztes Jahr haben wir auf dem nahen Gelände einer alten Sensen-Schmiede aus der Jahrhundertwende ein 60.000 m² großes Areal direkt an der Alm erworben, wo wir einen Grüne Erde-Campus für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter planen. Da wir viele Fachleute benötigen, die teilweise von weit her einpendeln, möchten wir mit der Verwirklichung des Campus die Möglichkeit nutzen, Wohnen, Freizeit und Arbeiten zu verbinden. Für die Entwicklung lassen wir uns Zeit und haben das Projekt auf 10 bis 15 Jahre angelegt.

Fotos: Grüne Erde

Grüne Erde GmbH
Hauptstraße 9
4644 Scharnstein

www​.gru​eneer​de​.com

Interview mit Sophie Wittmann (Trewit)

Sophie Wittmann (*1992) hat im Jahr 2020 gemeinsam mit ihren Brüdern, Max und Rudi, das 1879 im oberösterreichischen Scharnstein gegründete Familienunternehmen übernommen. Seither firmiert der auf Massivholz spezialisierte Handwerksbetrieb mit einem Schwerpunkt im Bereich Serienfertigung nach Maß unter dem Namen Trewit.

Im Gespräch mit Design Everyday reflektiert sie, welche Rolle die Zusammenarbeit mit Designer:innen in der Ausrichtung des Unternehmens spielt.

Design Everyday: Euer Unternehmen blickt auf eine lange Tradition zurück und verfügt dementsprechend über eine vielseitige Expertise in der Herstellung von Möbeln. Unter welchen Umständen kommt es zur Zusammenarbeit mit Designer:innen?

Sophie Wittmann: Es gibt unterschiedliche Hintergründe, die zu Kooperationen führen. Manchmal kommt jemand mit einem Entwurf auf uns zu und dann ist es meist eine produktionstechnische Frage, ob und wie das Projekt zu uns passt. Da wir Massivholz verarbeiten, spielt einerseits die Materialität und andererseits die Konstruktionsweise eine entscheidende Rolle. Seit aber meine Brüder und ich den Betrieb 2020 übernommen haben, können wir Kooperationen mit Designer:innen besser planen und auch proaktiv angehen. Wir gehen auf Designstudios zu und geben konkrete Entwürfe in Auftrag.

DE: Kannst du eine konkrete Zusammenarbeit näher beschreiben?

SW: Die Kooperation mit dem Designer Robert Rüf zum Beispiel hat sich zufällig ergeben. Beim Neubau der Patscherkofelbahn haben die Architekten Innauer Matt schon frühzeitig mit der Bauherrenschaft fixiert, dass die mobile Innenarchitektur für die Gebäude eigens entwickelt wird. In der Geschichte der Architektur hat es solche Konstellationen immer wieder gegeben, in der jüngere Vergangenheit aber sind sie rar geworden und man greift eher auf industrielle Serienprodukte zu.

DE: Welcher Mehrwert entsteht durch diesen ganzheitlichen Zugang in der Gestaltung?

SW: In dem Fall erstreckt sich die Möbelfamilie über viele Elemente; vom Barhocker über den Tisch, Stehtisch, Servierwagen bis zum Schiständer wurde die lose Möblierung bis ins letzte Detail mitgestaltet. Dieser Perfektionismus ist im Gesamtkonzept spürbar. Was aber einen weiteren interessanten Aspekt ausmacht, ist die Tatsache, dass sich das Zusammenspiel von Architektur und Möbelgestaltung aus zwei unterschiedlichen Handschriften ableitet. Robert Rüf ist kein Architekt, sondern Industriedesigner. Er hat den Entwurf von Innauer Matt gekannt und dazu ein passendes Mobiliar entworfen, das aber stilistisch durchaus in Kontrast zur Architektur steht. Daraus ergibt sich eine gewisse Spannung. Das Mobiliar verkörpert eine Eigenständigkeit, die aber dennoch das Gesamtbild komplettiert.

DE: Eine Herangehensweise, bei der schon in einer frühen Phase unterschiedliche Expertisen zusammenkommen, schreckt manche ab, weil sie befürchten, dass die Kosten und er Zeitrahmen explodieren. Wie kann man sich diesen Prozess auf Augenhöhe vorstellen?

SW: Das Zeitmanagement ist ein ganz essentieller Punkt, weil die Feedbackschleifen Raum brauchen. Erstserien gehören sehr genau geplant. Dafür müssen Schablonen hergestellt und Maschineneinstellungen justiert werden. Man muss die Möbel Schritt für Schritt über Prototypen entwickeln und kann nicht mit einem Entwurf gleich in die Produktion gehen. Wir erstellen Muster und nehmen Sitzproben, ziehen den Prozess schrittweise durch. Wir beginnen mit einem Arbeitsmodell, dann folgt eine Musterserie bevor sämtliche Einstellungen für die Produktion freigegeben werden. Erfreulich an dem Projekt war, dass wir trotz der Entwicklungskosten des Designs unter den veranschlagten Gesamtkosten für das Mobiliar geblieben sind. Wir haben nicht nur das interne Budget unterschritten, sondern konnten auch im Branchenvergleich mit Serienmöbeln in dieser Holzart mithalten. Unsere Erfahrung zeigt, dass man ab einer Stückzahl von 100 ein solches Projekt durchziehen kann, vorausgesetzt man hat die Affinität zu dieser Vorgehensweise.

DE: Kannst du mit Blick auf euer Geschäftsmodell eine Größenordnung zwischen dem Anteil an Kollektionen und dem Anteil an Sonderanfertigungen vergleichen?

SW: Das kann man schwer in Prozentanteilen ausdrücken, weil die Verteilung stark im Wandel ist. Wir merken, dass unsere Kollektionen immer stärker nachgefragt werden, weil sie einfach schön gestaltet sind. Dieses Segment ist sehr stark in Entwicklung.

DE: Wie gestaltet ihr die Zusammenarbeit rechtlich und wirtschaftlich?

SW: Wir bevorzugen Lizenzverträge mit Tantiemen gegenüber einer einmaligen Abgeltung, denn es ist schwer vorauszusagen, wie sich ein Produkt entwickelt.

DE: Du hast erwähnt, dass ihr inzwischen auch aktiv auf Designer:innen zugeht, um bestimmte Projekte zu entwickeln, die euch besonders wichtig vorkommen. Habt ihr aktuell etwas Spezielles in der Pipeline?

SW: Ja, wir freuen uns extrem über ein Projekt, das wir soeben mit Vandasye gestartet haben. Dabei geht es um einen Proben- bzw. Orchesterstuhl für Musiker:innen. Ein weiteres sehr spannendes, funktionales Möbel, bei dem wir bereits in der Vorentwurfsphase sind, entwickeln wir gemeinsam mit den Designerinnen von Lucy D und – weil das Projekt einen starken Polsteranteil hat – mit einem zusätzlichen Partner, Joka. Im Frühherbst folgen die Entwürfe und ich bin zuversichtlich, dass wir noch in diesem Jahr erste Prototypen sehen werden.

DE: Seit 2020 firmiert ihr unter dem Namen Trewit. Was ist neu an diesem Auftritt?

SW: Der Wandlungsprozess zieht sich bereits über einen längeren Zeitraum und wir leben ihn inzwischen schon so sehr, dass wir zuletzt den Eindruck hatten, nur noch den Namen und die Sprache im Auftritt zu ändern. Im Unternehmen bleibt vieles gleich; die Qualitäten des Traditionsbetriebs sind unser Nährboden für die Zukunft. Gleichzeitig drückt der Name eine Haltung aus, die wir verstärkt an den Tag legen. Dazu gehört das Commitment zur Gestaltung und gegenüber der Ökologie. Wir haben uns seit langem dem Massivholz verschrieben. Das klingt per se schon nachhaltig, aber hier gibt es noch viele Kanten, die man schleifen muss, um das Thema generell überzeugend nach außen zu tragen. Der neue Auftritt soll noch stärker ausdrücken, was uns ausmacht und wer wir sind.

DE: Du leitest inzwischen das Unternehmen mit deinen beiden Brüdern? Wie sind eure Kompetenzen verteilt?

SW: Trewit leitet sich aus dem Familiennamen Wittmann ab. Er bezieht sich aber auch auf den berühmten Trevi-Brunnen in Rom, bei dem sich drei Wege aus unterschiedlichen Richtungen kreuzen und sich dadurch ein besonderer Ort ergibt. Auch wir sind sehr unterschiedlich, nicht nur im Charakter, sondern auch in unseren Werdegängen. Max, mein älterer Bruder, der die Produktion leitet, ist eigentlich Maschinenbauer. Ich selbst habe eine wirtschaftliche Ausbildung und erst später den Wunsch entwickelt, ins Unternehmen einzusteigen. Rudi, mein jüngster Bruder, hat sich bereits in der HTL auf Holz spezialisiert, dann aber noch einen Abschluss auf der Kunstuniversität Linz gemacht. Bei uns kommen der technische Hintergrund von Max mit meiner wirtschaftlich-kommunikativen Ausrichtung und dem kreativ-künstlerischen Zugang von Rudi zusammen. Uns alle verbindet das Handwerk.

Fotos: Trewit

Trewit
Wittmann GmbH
Mühldorf 4
4644 Scharnstein

www​.tre​wit​.at

Interview mit Stefan Ehrlich-Adám (EVVA)

Stefan Ehrlich-Adám (*1964) leitet gemeinsam mit seiner Frau Nicole seit 1999 das Familienunternehmen EVVA Sicherheitstechnologie GmbH, das 2019 sein einhundertjähriges Bestehen in Wien feiern konnte. Mit Niederlassungen in zehn Ländern und einem weltweiten Vertriebsnetz ist EVVA einer der führenden Unter-nehmen für die Herstellung von Zylinderschlössern und Schließsystemen.

Mit Design Everyday spricht er über die Wirksamkeit von Design bei einem Produkt, das nur wenig Raum für sichtbare Gestaltung zulässt.

Design Everyday: Schließsysteme sind eine althergebrachte Technologie, die tagtäglich in Gebrauch ist, die sich aber auch ständig wandelt. Was bedeutet diese Dynamik für Ihr Unternehmen?

Stefan Ehrlich-Adám: EVVA ist ein Unternehmen, das aus der klassischen Welt der Mechanik kommt, das sich in dieser Welt seit vielen Jahrzehnten zu Hause fühlt und das die Welt der mechanischen Schlösser laufend weiterentwickelt. Bis vor etwa 30 Jahren basierte der überwiegende Teil der Schließzylinder-Technologie auf einem Patent aus dem Jahr 1865. In den letzten zwanzig Jahren aber wurden einerseits neue Wirkmechanismen erfunden und andererseits veränderte der Einzug der Elektronik die Branche maßgeblich. Unser Anliegen ist es, auf der einen Seite hochsichere, qualitativ hochwertige Zylinderschlösser zu entwickeln, die aber gleichzeitig einen gewissen Komfort bieten sollen.

DE: Welche Rolle spielt die Formgebung in der Entwicklung von Schließsystemen?

SEA: Design war immer ein wichtiger Faktor. Die alten, relativ großen Hangschlösser repräsentierten Attribute wie groß, mächtig, schwer. Die moderne Entwicklung aber geht in Richtung Miniaturisierung, wobei der Raum für den Wirkmechanismus in einem Zylinder relativ begrenzt ist. Die große Herausforderung besteht darin, auf kleinstem Volumen möglichst viel sinnvolle Technologie einzubauen. Dadurch wird der Raum für Designelemente kleiner. Was für die Gestaltung bleibt, ist das Medium, sei es ein Schlüssel, eine Chipkarte, ein Code-Träger oder eine Kombination dieser Elemente.

DE: Können Sie erklären, wo bei einem technologisch so komplexen Produkt die Designer ins Spiel kommen?

SEA: In der Welt der Mechanik spielt der Patentschutz eine sehr große Rolle. Damit unsere Entwicklungsinvestitionen zurückfließen, erhalten wir als Hersteller über eine gewisse Zeit ein exklusives Fabrikationsrecht. Das heißt, wir müssen unsere Systeme entweder regelmäßig mit neuen patentwürdigen Merkmalen ausstatten, oder wir müssen gleich ein technologisch komplett neues System aufstellen. 2021 haben wir Anfang Juni ein System auf Basis einer komplett neuen Plattform gelauncht. Daran haben wir ca. drei Jahre gearbeitet. Gestalterisch wurde mit der Schlüsselform, mit der Reide und der Art, wie die Prägungen angeordnet sind, erst im letzten Drittel der Entwicklungsphase gespielt. Die Form der Reide suggeriert die Art der Benützung. Ein Wendeschlüsselsystem, bei dem man den Schlüssel in beide Richtungen einsetzen kann, verlangt eine symmetrische Reide. Ein Schlüsselsystem, bei dem man den Schlüssel nur in eine Richtung einstecken kann, verlangt eine asymmetrische Reide, damit man intuitiv weiß, wie der Schlüssel ins Schloss gesteckt wird. Neben funktionalen Aspekten geht es darum, gestalterische Elemente zu finden, die das Produkt im Vergleich mit alten Systemen einerseits besonders ansprechend machen und andererseits eine gewisse Markenwiedererkennung zulassen.

DE: Welche Bedeutung haben stilistische Trends und Zeitgeist dabei?

SEA: Design hat ein Zeitelement. Früher war der Schlüssel ein Instrument, um die Türe zu öffnen, heute ist ein Schlüssel per se schon etwas Besonderes. Ideal wäre es, würden wir dorthin kommen, wo allein schon das Hinlegen des Schlüssels auf einen Tisch einen besonderen Eindruck macht. Ich finde es spannend, das Design ein Produkt so ansprechend machen kann, dass sich alle sofort verlieben. Spannend ist der Prozess, wie es unserem Industriedesigner gemeinsam mit dem Marketing gelingt, das Design mit einer Story zu verknüpfen.

DE: Holen Sie für diesen Prozess externe Kräfte hinzu?

SEA: Seit etwa zehn Jahren haben wir eine sehr gute Kooperation mit Georg Wanker, einem Industriedesigner aus Graz, der schon einige Produkte mitgestaltet hat. Früher hat unser Chef-Entwickler nach der Entwicklung des Produkts zehn Reiden gezeichnet und wir haben in einem kleinen Team abgestimmt, welche wir nehmen. Heute ist der Prozess professioneller und gesamtheitlich gestaltet. Die Message des Produkts wird gemeinsam mit dem Marketing entwickelt.

DE: Ihre neues System Akura 44 hat starke Identitätsmerkmale. Was steckt dahinter?

SEA: Es ist unser erstes Produkt, mit starken Widererkennungsmerkmalen, aus denen wir eine Produktfamilie generieren wollen. Bisher galt, dass ein neuer Schlüssel immer ganz anders ausschauen sollte, als der Vorläufer. Heute lautet der Anspruch, dass es vom Design her ein Widererkennungsmerkmal gibt, dass ein EVVA-Produkt ausweist. Das ist ein erster Schritt und ich bin schon gespannt, was die nächsten sein werden.

DE: Welchen Einfluss auf Ihre Entwicklungen haben die Möglichkeiten der berührungslosen Schließsysteme, für die ich kein Medium mehr, sondern nur noch eine App auf dem Smart-Phone benötige, um eine Tür zu öffnen?

SEA: Das ist kein Widerspruch. Wir schaffen es bereits, dem Gedanken folgend »best of both worlds« die beiden Welten zu kombinieren, indem wir einen Schlüssel auch mit einem elektronischen Chip ausstatten. In Zukunft werden die beiden Welten in der Produktentwicklung frühzeitiger ineinandergreifen und eine gemeinsam Formensprache entfalten. Bei unserer nächsten elektronischen Generation spielt das Design von Anfang an eine wichtige Rolle. Wir wissen ungefähr, welchen Raumbedarf wir für unsere Elektronik benötigen und müssen überlegen, wie wir die Systeme in den Schließzylinder aber auch in den Türbeschlag integrieren können. Das heißt, es ist viel sichtbarer und wir haben mehr Platz, um Formensprache nützen zu können. Künftig ist Design auch deshalb von Anfang an ein wichtiger Faktor, weil wir die Gestalt des Beschlags von vornherein mitbestimmen wollen, weil und das auch frühzeitig die Herstellungskosten mitbestimmt.

DE: Was bedeuten die immer kürzeren werdenden Produktzyklen für Ihre Branche?

SEA: Die maximale Dauer eines Patentschutzes beträgt zwanzig Jahre. Daher müssen wir nach 12 bis 15 Jahren ein Nachfolgeprodukt oder ein neues System entwickeln. Dies gilt insbesondere in der Welt der Mechanik. In der Welt der Elektronik haben die Komponenten eine Lebenszeit von etwa zehn Jahren. Durch diese kürzeren Zyklen werden wir gezwungen, Redesigns schneller durchzuführen und die Elektronik neu zu adaptieren und u.U. auch leicht umzugestalten. Wir sind heute öfter gefordert, uns mit der Produkt-entwicklung auseinander zu setzen als in der Vergangenheit.

DE: Beschleunigen die Erkenntnisse aus der Pandemie diese Dynamik?

SEA: Heute setzt man sich noch mehr mit berührungslosen Systemen auseinander. Sie bieten mehr Komfort und sind daher im Trend. Wenn ich einen Zylinder mit dem Handy aufmachen kann, ist das praktisch, weil man das Handy immer dabei hat; den Schlüssel kann man eher verlieren als das Smartphone. Allerdings ist in jedem Schließsystem am Ende der Kette ein mechanisches Glied. Elektronisch erfolgt die Identifikation und auch eine Authentifizierung, die den Sperrmechanismus freigibt. Daher muss insbesondere die Mechanik immer sicher und verlässlich gestaltet sein. Der Anteil an Elektronik wird wachsen und die Systeme durchdringen, aber Elektronik wird nie die Welt der Schlüssel zur Gänze ersetzen.

DE: Wie begegnen Sie dem Wettbewerb auf den globalen Märkten?

SEA: Wir sehen einen großen Unterschied zwischen der europäischen Sichtweise und anderen Ländern wie den USA oder Asien. Die komfortgetriebenen dezentralen Systeme fassen dort schneller Fuß. Wenn man sich jedoch das Design anschaut, kommt man zur Einschätzung, dass sich in Europa viele Produkte niemand an die Türe schrauben würde, weil sie formal nicht passen. In USA und Asien steht die Funktionalität im Vordergrund, während in Europa der Designanspruch höher zu sein scheint. Das wird sich wahrscheinlich noch ändern, aber derzeit spielt Design in Europa eine viel größere Rolle.

DE: Wie erklären Sie das?

SEA: Die Europäer haben einen anderen Zugang. In Italien etwa gibt es Dutzende Hersteller von Drückern, die alle bemüht sind, ein schönes Design zu machen. Allein in Deutschland gibt es große Hersteller, die auch in der Welt der Architektur einen Namen haben. In Amerika findet man das nicht. Das ist das Schöne an Europa, dass wir auch mit der Erscheinung punkten wollen. Es geht nicht nur um das Funktionale, sondern man möchte sich mit Dingen umgehen, über die man sich täglich freut, wenn man sie sieht.

DE: Sie sind u.a. Obmann der Sparte Industrie der WKO und Mitglied im Wiener Präsidium der Industriellenvereinigung. Welche Relevanz besitzt Design für die Industrie?

SEA: Das ist schwer zu sagen, weil es hier keinen branchenübergreifenden Ansatz gibt. In manchen Branchen spielt es eine untergeordnete Rolle, im Maschinenbau stehen Funktionalität und Technik im Vordergrund. Es macht einen Unterschied, ob es sich um Alltagsprodukte handelt, mit denen täglich zehntausende Menschen in Kontakt kommen oder um eine Maschine, die von nur ganz wenigen Spezialisten bedient wird und die niemand sieht. Design ist ein unterstützendes Element. Es kann in die falsche Richtung gehen, wenn die technische Qualität eines Produkts durch nicht ansprechendes Design in den Hintergrund rückt. Das soll nicht sein, aber Design hat das Potential, den Verkaufswert eines Produkts zu steigern.

Fotos: Bernhard Schramm, EVVA

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